Wie alles begann
"Es ist der Heiligabend des Jahres 1998. Wir haben den Tisch festlich gedeckt. Der Duft des Festessens erfüllt bereits die Wohnung. Überall leuchtet Kerzenlicht. Unsere vierjährige Tochter tanzt zur Weihnachtsmusik und der achtjährige Martin betastet aufgeregt Geschenke, die unterm Lichterbaum liegen. Weihnachten, Zeit der Ruhe und der Familie. Keiner möchte jetzt gestört werden.
Die schrille Klingel an der Haustür meldet sich. Draußen steht der 1,85 Meter große 15-jährige Daniel. Er trägt zerrissene Jeans und eine Bomberjacke. Nur ein verlegenes „Hallo“ bringt er über seine Lippen. Ich sage: „Schön, dass du kommst!“. Sein Gesicht spiegelt Härte und extreme Unsicherheit wider. Er passt wohl nicht in den weihnachtlichen Rahmen einer Familie hinein, oder doch? Sein Stiefvater hatte ihn gestern endgültig vor die Türe gesetzt. ...
Auch die Front zu seiner Mutter war so verhärtet, dass sie nicht mehr miteinander sprachen. Dennoch kam diese Frau ihrer Elternpflicht soweit nach, dass sie am 23. Dezember ihren Sohn bei uns, den Leitern einer offenen Jugendeinrichtung, suchte. Falls er bei uns auftauchen sollte, könne er ihretwegen bleiben. Zu ihr könne er jetzt nicht mehr kommen, sagt sie zu uns.
Daniel sitzt am gedeckten Weihnachtstisch. Er riecht nach Schweiß und Zigarettenrauch. Obwohl er seit Langem keine ordentliche Mahlzeit mehr bekam, isst er nur wenig vom leckeren Festbraten. Unsere Kinder beginnen, neugierige Fragen zu stellen, während mein Mann sie wieder bremst: „Lasst ihn erstmal in Ruhe essen!“
Als der bestellte Weihnachtsmann die Geschenke an unsere Kinder verteilt, zuckt Daniel zusammen. Sein Gesichtsausdruck ändert sich. Einen Moment lang offenbart er den Schmerz und die Angst seiner ganzen kindlichen Weihnachtserfahrungen. Was ist nur alles in seinem Leben passiert? Uns sind nur Bruchstücke aus bisherigen Gesprächen bekannt, die sein Leben kennzeichnen: Diebstahl, Schlägereien, Schule schwänzen, Vorladungen bei Polizei, Erziehungshilfe durch das Jugendamt, Rauchen seit 12, Alkoholvergiftung… Es ist eine lange Liste für einen 15-jährigen jungen Menschen.
Daniel geht mit seiner Jacke ins Bett, als wollte er uns damit sagen: „Ich kann hier sofort wieder weg, auch mitten in der Nacht.“ Die ersten Tage in unserer Familie liegt er wie ein Fuchs auf der Lauer. Während er unbewusst auf bekannte Verhaltensmuster wartet, wie enttäuscht zu werden, bestraft zu werden, angeschrien oder geschlagen zu werden, wächst in mir der starke Wunsch, sein Vertrauen zu gewinnen. Allen bisherigen Erlebnissen zum Trotz. Er soll an die Worte Mutter und Vater neue Erfahrungen knüpfen. Nach drei Tagen zieht Daniel seine Jacke aus. Nun hat er ein neues Zuhause.“
Bericht: Karin Demmler
Der Weg ist klar
Mit dieser ungeplanten besonderen Weihnachtserfahrung am Heiligabend 1998 entstand aus der Praxis heraus eine Arbeit für benachteiligte Menschen. Dem Leiterehepaar Karin und Frieder Demmler wurde es zur Lebensberufung, sich um Kinder und Jugendliche in Not zu kümmern. Seitdem haben ca. 50 Kinder und Jugendliche für kurz oder lang in der Pflegefamilie Demmler einen geschützten Wohn- und Lebensraum gefunden.
Freunde, Beter, Spender, Fachleute, Ehrenamtliche und viele andere Pflege- und Patenfamilien engagieren sich im Rahmen des Lebenshaus e.V. seit seiner Gründung für das Wohl von benachteiligten Menschen in unserer Gesellschaft. So ist mit Gottes Hilfe auf natürliche Art die Arbeit des Vereins gewachsen und ein Netzwerk der Unterstützung entstanden.
Unsere Geschichte
Das Lebenshaus in Fakten: 7 Hauptamtliche in Teilzeit, 2 Mitarbeiter in Elternzeit, rund 40 Ehrenamtliche Mitarbeiter, knapp 45 Mitglieder.
Drei Standbeine unserer Arbeit im Landkreis Zwickau und Erzgebirgskreis: Pflege- & Adoptivfamilien, Patenprojekt, psychosoziale Beratung sowie Alltagsberatung.
Die Handlungsleitlinien als Fokus unserer Vereinstätigkeit werden gezielt formuliert: „Kinder sind unser Herzensanliegen: Kinder sollen durch unsere Arbeit gestärkt werden, um ein glückliches, eigenverantwortliches Leben führen zu können.“
Die Unterstützung von ukrainischen Frauen und Kindern wird krisenbedingt zu unserem Fokus: Wir begleiten das Ankommen, ermöglichen Begegnung mit anderen und mit unserer Sprache, suchen Wohnungen, helfen bei Behördenpapieren und vermitteln Patenschaften zu deutschen Familien. Ende 2022 begleiten wir ca. 120 Geflüchtete.
Es beginnt das ehrenamtlich organisierte Angebot «Auszeit für Pflegemütter». Mal als Sportangebot, gemeinsam Essen gehen, einen Spaziergang unternehmen u.v.m.
Seit Juli gibt es für Pflegeeltern eine Art „Elterngeld“ im Landkreis Zwickau - auf unsere Anregung hin gegenüber dem Landrat.
Unser Ehrenamtsteam im Erzgebirgskreis macht tolle Arbeit.
Unser Verein beginnt einen Strategieprozess.
Durch die Unterstützung von Studenten der HS Mittweida sind 5 kleine Filme sowie Tonaufnahmen entstanden, die über Pflegefamilien und Pflegekinder berichten.
Unsere Angebote werden rege genutzt, egal ob Weiterbildungen, Begegnungsangebote, Fachtage oder Beratungen.
Das Projekt Familiengesundheitspaten startet unter Leitung von Anne Demmler als Weiterentwicklung des Patenprojektes für den ganzen Landkreis Zwickau.
Unser 20-jähriges Jubiläum steht unter dem Motto: „Gut und zuverlässig ist der Herr.“ (Ps. 25,8). Das dürfen wir erleben, auch im Rahmen unseres Jubiläumsgottesdienstes im September.
Ein besonderes und kreatives Jahr mit dem Höchststand an Interessenten an Vollzeitpflege, Online-Seminaren, Telefonberatungen und Einzel- statt Gruppenaktivitäten geht zu Ende.
Mehrere Unterstützer aus dem Erzgebirgskreis bestätigen Ihre innere Zugehörigkeit zum Verein durch eine Mitgliedschaft.
Der Lebenshaus e.V. wird mit dem sächsischen Generationspreis 2019 in der Kategorie „alle zusammen“ geehrt.
Durch die Aktion „Leser helfen“ der Freien Presse und das Engagement der DRH Stiftung Kinderhilfe wird ein Spielplatz auf dem Vereinsgelände gebaut.
Die Weiterbildungsangebote für Fachkräfte, insbesondere für Lehrer werden ausgebaut.
Eine Minijob-Stelle in der Verwaltung entsteht für Finanz- & Lohnbuchhaltung sowie sonstige Bürotätigkeiten, damit die pädagogischen Mitarbeiter sich auf ihre Kerntätigkeiten konzentrieren können.
Anerkennung als überregionaler freier Träger der Jugendhilfe
Durch den Ausbau der Beratungsarbeit können wir nun Integrationsberatung anbieten.
Die Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen erreicht ihren Höhepunkt in Begegnungs- und Weiterbildungsangeboten.
- Aufbau & Ausbau von Beziehungen zu benachbarten Landkreisen und Unterstützung in der Pflegeelternarbeit
Immer mehr Pflegeeltern aus anderen Landkreisen kommen auf uns zu oder besuchen eines unserer Weiterbildungsangebote.
Angebot von Therapeutischer Begleitung im Landkreis Zwickau für Pflegekinder/-familien in schwierigen Phasen
- 15-jähriges Jubiläum mit großem Sommer-Familien-Fest auf unserem Gelände
- Projektstart des Patenprojektes für Flüchtlinge und deutsche Familien sowie Kinder
Die Angebote in der Pflegeelternarbeit nehmen zu, sie bildet mehr und mehr den Schwerpunkt der Vereinsarbeit.
Ausbau der Pflegeelternwerbung: Infostände, Flyer, Erstgespräche für Interessierte
Noch immer werden viele Kinder in Not im Lebenshaus vorübergehend aufgenommen, in diesem Jahr 10 junge Menschen.
Dazu passend feiern wir unser 10-jähriges Jubiläum.
- Beginn der Schulung von zukünftigen Pflegeeltern (Bewerberschulungen)
- Einweihung der Volleyballanlage
- Besuch der damaligen sächsischen Sozialministerin Christine Clauß
- Ausbau der Pflegeelternarbeit mit Begegnungs- & Weiterbildungsangeboten
- Besuch der damaligen Staatsministerin Helga Orosz
- Erstes Familienfest, das von da ab fast jedes Jahr stattfindet
- Einweihung des Vereinsgebäudes
- Anerkennung des Lebenshaus e.V. als freier Träger der Jugendhilfe
- Erste Weiterbildungsangebote für Pflegeeltern mit Prof. Dr. Huber
- Erstes Begegnungs-Treffen von Pflegefamilien
- Beginn des Beratungsangebotes
- Baubeginn für das zukünftige Vereinsgebäude
- Beginn mit der regelmäßigen Aufnahme von Kindern in Not
- Abriss der baufälligen Seite des zukünftigen Vereinsgebäudes
- Einzug in die alte Villa & Leben in einer Hausgemeinschaft
- Entwurf der Konzeption
- Einrichtung einer FSJ-Stelle, die im Laufe der Jahre 8 FSJ-ler nutzen
Gründung des Vereins und Anerkennung der Gemeinnützigkeit
Ein Wohnprojekt wird initiiert & der Umbau der dafür gekauften Brüning-Villa beginnt.